Joanna Newsom hören und lieben lernen

Amazon war mal wieder Schuld. Sollte mir dringend mal Joanna Newsom's Album „Ys“ anhören, flüsterte mir die Kaufempfehlungsfee leise zu. Die 30-Sekunden-Schnippsel machten neugierig und mir war schnell klar, dass man 10-Minuten-Stücke nicht beliebig eindampfen sollte…

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Also flugs eine bessere „Hörprobe“ geladen und durchgehört. Nochmal durchgehört. Und nochmal durchgehört. Ratlosigkeit macht sich breit. Ist das jetzt unendlich genial oder einfach nur Mist? Rezensionen gewühlt. Wigger vom Spiegel lobpreist das Werk in höchsten Tönen. Und Wiggers Meinung - das zeigt die Vergangenheit - war erschreckend deckungsgleich mit meiner. Bei Plattentests ist es mal eben mit 10/10 das Album des Jahres 2006. Aber was hilft es, wenn es zunächst nicht in mein Ohr rein will?

Die Songs sind sowas von nicht eingängig, wie es nur geht. Refrain? Pah, das braucht nur tumbe Popmusik. Und doch bleibt alles hängen. Die Stimmung, die Stimme. Die Stimme - ja, wer Björk schon schlimm fand, erlebt hier sein persönliches Armageddon. Und doch - die Stimme bleibt hängen, schwingt mit, beschleuningt, verlangsamt. Dazu die Harfe. Ja, klar. Harfe spielt sie. Popmusik? Und das Orchester. Joanna Newsom ist eben mehr und anders, so ganz anders. Und mit ihren 24 schon so weit und doch irgendwie kindlich verspielt. Manchmal möchte man sie schützend in den Arm nehmen, nur um im nächsten Moment festzustellen, dass sie so stark, so strahlend ist, dass sie das nie im Leben nötig hätte.

Vergleichen kann ich nur mit dem, was ich kenne. Mit Björk gibt es Berührungspunkte, die über die Stimme hinausgehen. Unbändige Kreativität, dieses Loslösen von konventionellen Mustern der Popmusik. Die lyrischen Texte und Songs in ungewohnt epischer Länge erinnern mich an Genesis, als es noch Genesis war (also zu Peter Gabriels Zeiten). Oder die seelenverwandten Marillion. Folk soll es sein, Freak Folk, was auch immer?! Es ist einfach anders und ganz, ganz besonders (schön).

Nach dem vierten Durchhören bemerke ich dann eine schlimme Abhängigkeit. Platten, die sich erst sperren und dann mit jedem Hören besser werden, sind doch die besten. Thom Yorke's „Eraser“ war so eine. Und Platten, die man laut, ganz laut hören kann und muss. Verglichen mit dem Vorgängerwerk „The Milk-Eyed Mender“, was ist ich zum Vergleich gehört habe, ist „Ys“ von epochaler Tiefe und klingt einfach wahnsinnig gut, was den Vorgänger aber nicht unnötig abwerten soll.

Seid tapfer, hört es - dieses Album bleibt hängen. Dauerhaft.

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