Neben Edgar Reitz ist Krzysztof Kieślowski wohl der Regisseur, dessen Werk ich am meisten bewundere. Angefangen hat alles mit einem Zufall - eigentlich wollte an diesem Abend gar nicht Fernsehen gucken. Und schon gar nichts Anspruchsvolles oder gar Anstrengendes. Aber das ZDF musste natürlich eine Ankündigung von „Drei Farben: Blau“ zeigen… Es gibt nur wenige Schauspieler in der Filmgeschichte, bei denen 5 Sekunden reichen, um überzeugt zu werden, einen Film mit ihnen zu gucken. Juliette Binoche ist so eine Schauspielerin.
„Drei Farben: Blau“ ist der erste Teil der Farbentrilogie (Blau, Weiß, Rot), in der Kieślowski die Motive der Französischen Revolution behandelt. „Drei Farben: Blau“ handelt von der Befreiung („Freiheit“) der Witwe eines Komponisten (Julie, gespielt von Juliette Binoche) von der Vergangenheit und dem musikalischen Vermächtnis ihres verstorbenen Mannes. Sie ist die einzige Überlebende eines Autounfalls, bei dem neben ihrem Mann auch das einzige Kind der Familie ums Leben kommt. Nachdem Julie das Krankenhaus wieder verlassen kann, versucht sie alle Brücken in die Vergangenheit abzureißen. Sie verkauft das Haus der Familie und zieht nach Paris. Doch die Musik ihres verstorbenen Mannes, dessen unvollendete Hymne für Europa sich durch den ganzen Film zieht, verfolgt sie in Gestalt von Olivier (Benoit Regent), einem ehemaligen Assistenten ihres Mannes. Er drängt sie, das Werk vollenden zu dürfen - Julie muss sich wieder mit ihrer Vergangenheit auseinander setzen.
Komposition ist ein zentrales Thema von „Drei Farben: Blau“, was sich auch in der äußeren Form des Filmes wiederspiegelt. Zbigniew Preisners Musik (ausnahmsweise nicht als sein Alter Ego van den Budenmayer vertreten) und Kieślowskis Hang zur Symbolik und exzessiven Einsatz von Farbfiltern fügen sich zusammen zu einem dramatischen, unglaublich ästhetischem, leicht unterkühltem Film.
Mit „Drei Farben: Weiß“ wagt sich Kieślowski an das Genre der Komödie, genauer: der Tragikomödie und es gelingt ihm hervorragend. Karol Karol (Zbigniew Zamachowski) - ein Pole in Paris - steht vor den Scherben seiner Ehe und seiner Existenz. Vor Gericht behauptet seine Noch-Ehefrau Dominique (Julie Delpy), er habe die Ehe nicht vollzogen, setzt die Scheidung durch und wirft Karol aus der Wohnung. Der landet im Pariser Untergrund und trifft dort auf seinen schwermütigen und latent suizidgefährdeten Landsmann Mikolai (Janusz Gajos), der ihn in einem Koffer nach Polen schmuggelt. Dort angekommen hält er sich zunächst mit kleinen Gaunereien über Wasser um schließlich durch ein cleveres Geschäft zu Geld zu kommen. Karol sinnt nun nach Rache („Gleichheit“) an Dominique für das, was sie ihm angetan hat und inszeniert eine Beerdigung - seine eigene. Er weiß, dass Dominique kommen wird.
Nach dem schweren, formal anspruchsvollen „Drei Farben: Blau“ schien Kieślowski dem Zuschauer eine Entspannung gönnen zu wollen. Diese warmherzige Komödie zeigt, dass Kieślowski alle Spielarten des Kinos beherrscht.
„Drei Farben: Rot“ ist der Abschluss der Trilogie und zugleich der letzte Film Kieślowskis. Das Modell Valentine (Irène Jacob) fährt auf der Heimfahrt von einer Fotosession den Hund eines pensionierten Richters an. Sie bringt das Tier zu ihm, doch er hat kein Interesse es wieder an sich zu nehmen. Valentine entdeckt, dass der Mann die Telefongespräche seiner Nachbarn abhört und versucht zu ergründen, was den Richter zu seiner zynisch-pessimistischen Einstellung gebracht hat. Trotz dieser Hindernisse entwickelt sich eine Freundschaft („Brüderlichkeit“) zwischen den beiden Protagonisten, in deren Schicksal sich geheimnisvolle Parallelen auftun.
Mit „Drei Farben: Rot“ gelingt Kieślowski ein recht mystischer Abschluss der Trilogie, deren einzelne Teile sich nur sehr bedingt vergleichen lassen. Verbunden sind sie nicht nur durch die Umsetzung des Mottos „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ sondern auch durch filmische Kniffe Kieślowskis, der in „Blau“ und „Weiß“ z.B. ein und dieselbe Szene (Gerichtsverhandlung) kurz aus zwei Perspektiven zeigt. Und schließlich läßt er alle Protagonisten nochmals im Finale von „Rot“ zusammenkommen. Auch wenn der Schluß etwas gekünstelt wirkt, würde er einen fast zu einem Schmunzeln anregen können, wäre der historische Hintergrund nicht so ernst (Untergang der Fähre Jan Heweliusz).
Wer nun nicht gleich eine Trilogie sehen möchte oder wem ihre Thematik nicht zusagt, dem sei als Einstieg in die Filme Krzysztof Kieślowskis „Die zwei Leben der Veronika“ empfohlen. Er handelt vom - auf magische und tragische Weise verbundenen - Leben einer Veronika in Krakau und einer Veronique in Paris (beide gespielt von Irène Jacob), die sich wie Zwillinge gleichen. Beide wissen nichts voneinander, bis zu dem Tag, als Veronique mit einer Reisegruppe Krakau besucht und Veronika sie (bzw. sich selbst) in einem Reisebus erblickt. Doch räumlich gehen die beiden Protagonistinnen wieder getrennte Wege. Die begabte Sängerin Veronika stirbt bei ihrem ersten großen Konzert und ihr Tod beeinflusst nun auch das zukünftige Leben von Veronique.
Was hier etwas kompliziert und unglaublich klingt, gestaltet sich im Film als mit spielerischer Leichtigkeit von Kieślowski in Szene gesetzt. In wunderschönen Bildern seines Kamaramanns Slavomir Idziak und der bezaubernden Musik Zbigniew Preisners (Verzeihung, die des erst kürzlich wieder entdeckten holländischen Komponisten van den Budenmayer natürlich…) entwickelt sich eine spannende Geschichte; ein Spiel, bei dem niemals klar wird, wer hier mit wem sein Spielchen treibt. Die Charaktere untereinander oder Kieślowski mit dem Zuschauer?
Krzysztof Kieślowski ist am 13.3.1996 in Warschau gestorben.
→ Weiterführende Links zu Kieślowski und seinen Filmen.