Christoph Schlingensief - Talk 2000

Messias oder Scharlatan?

schling1.jpg An Christoph Schlingensief scheiden sich die Geister - und so will er das auch. Für die einen ist er der aufrichtige Linke, der mit seinen Inszenierungen und Aktionen auf radikalste Art und Weise Missstände anprangert, den Unterdrückten, Vergessenen in Deutschland ein Sprachrohr ist und sich nicht in die gängigen Konventionen einpassen will.

Andere sehen in ihm einen guten Vermarkter seiner Ideen, dem es mit seinem lausbübischen Charme gelingt, dass ihm selbst die größte Sauerei und Gemeinheit zu verzeihen ist. Die Wahrheit liegt wohl, wie immer in der Mitte.

Die Sendung

Im Herbst 1997 zeigten zunächst RTL, dann SAT.1 die von Schlingensief geleitete Talkshow TALK 2000 im „Kulturfenster“ von Alexander Kluges dctp. Wie nicht anders zu erwarten, war dies keine gewöhnliche Talkshow, sondern eher eine Parodie, die gnadenlos die Verlogenheit, Arroganz und Selbstherrlichkeit des Genres aufdeckte.

Jede der acht Folgen (es folgten noch zwei Best-Of-Folgen, in diesem Fall: keine Parodie) stand unter einem Motto, wie es den nachmittäglichen Seelenstrip-Shows entsprungen sein konnte (z.B.: Sind Hunde die besseren Menschen?), wobei die Sendungen bewusst darauf ausgelegt waren, diese Themen tunlichst nicht zu berühren. Aufgezeichnet wurde die Show in der Kantine der Volksbühne in Berlin, Schlingensiefs Hausbühne. Die Athmosphäre und der Ablauf der Sendung ist als chaotisch, schräg und anarchisch zu bezeichnen.

Die Gäste

schling2.jpg Hier zeigten sich die selben „Quassel-Hüllen“, wie in jeder anderen Talkshow auch, doch es ist Schlingensief zu verdanken, dass diese nicht in die gewohnte Selbstdarstellung verfielen, sondern oftmals überraschende Einblicke gewährten. Hier bewahrheitete sich einmal wieder die Weisheit, dass der wahre Charakter eines Menschen in Stress-Situationen hervortritt.

Schlingensief versetzte seine Gäste (es waren z.B. Rudolph Moshammer, Ingrid Steeger, Harald Schmidt, Beate Uhse, Gotthilf Fischer) durch die bewusste Verletzung von „Talk-Show-Regeln“ (kein abgesprochenes Frage-Antwort-Spiel, Beleidigungen), die Missachtung der handwerklichen TV-Kunst (einminütiges Schweigen, Moderation durch Zuschauer, Schlägereien) in einen Schockzustand, an dem einige Gäste zerbrachen (Ingrid Steeger), andere Gefallen fanden (Harald Schmidt) und wieder andere sich still in die Sofaecke kauerten. In jedem Fall bot Schlingensief aber den Gästen die Möglichkeit, sich zu blamieren.

Das Anliegen

chance2000.jpg Kein Schlingensief-Projekt ohne Hintergedanken, in diesem Fall war die Sendung den sechs Millionen Arbeitslosen in Deutschland gewidmet, die nach Schlingensiefs Angaben über die Einschaltquoten auch fast alle eingeschaltet haben müssten. (In diesem Zusammenhang ist auf Schlingensiefs Partei Chance 2000 hinzuweisen, die erst nach der Sendereihe gegründet wurde, aber einige Motive (und Personen) der Sendung wieder aufnimmt). Schlingensief forderte seine Gäste regelmäßig auf, den Arbeitslosen einen Rat zu geben, wie sie aus ihrer Situation entkommen können. Einige Gäste waren zynisch genug, dies zu tun…

Fazit

Schlingensief wollte zeigen, dass jeder in Deutschland eine Talkshow machen kann; ob ihm dieses Vorhaben geglückt ist, ist zu bezweifeln, denn das Endprodukt ist eher eine Performance eines Künstlers, die eine Aussage transportiert, als eine Talkshow im herkömmlichen Sinne. Der Unterhaltungswert ist dabei allerdings so groß, dass man den Blick für das Anliegen Schlingensiefs verlieren kann, aber viel anarchische Freude dabei erlebt.